Jedes Jahr an Pfingsten verwandelt sich die sonst so beschauliche und einladende Stadt Leipzig in einen Ort der Schwärze und Finsternis, denn dann steht alles im Zeichen der Gothic Szene, alles abgestimmt auf die Bedürfnisse der Schwarzen Szene. Von der düsteren Dekoration in den Schaufenstern der Läden bis hin zur nachtschwarz lackierten Straßenbahn befindet sich die Stadt in einer Art Ausnahmezustand, in denen Tausende Anhänger der Wave und Gothic Szene ganz Leipzig in ein rauschendes, viktorianisch angehauchtes Fest verwandeln. Mit zahlreichen Konzerten, Rollenspiel – Events, Partys, Veranstaltungen und einfachem, gemütlichem Beisammen sein zählt das WGT in Leipzig neben dem M´era Luna Festival in Hildesheim zu einem der größten Treffen der Alternativen und Schwarzen Szene in ganz Deutschland und ist längst über die Grenzen hinaus bekannt und nicht nur bei Szeneanhängern ein unheimlich beliebtes Ausflugsziel.
Das erste WGT fand 1992 im Eiskeller (dem heutigen Conne Island) statt und zählte eine Besucherzahl von gerade einmal 2000. Seitdem verwandelt es jährlich zu Pfingsten die Stadt Leipzig zum Mittelpunkt der Schwarzen Szene. 2016 erzielte die Veranstaltung mit 23.000 Besuchern einen neuen Rekord. Da sich seine Anfänge stark an der Wave und Gothic – Kultur orientierten, erhielt es ursprünglich auch den englischen Begriff als Namen. Das hat sich 1996 schließlich mit der Vergrößerung des Publikums und des daraus resultierenden, breiteren Interessenspektrums wie zum Beispiel der Steampunk Szene geändert und so trägt es seitdem die Bezeichnung „Wave – Gotik – Treffen“.
Als Vorreiter des Treffens gilt eine Feier, die 1988 am Belverde in Potsdam stattfand. Dort trafen sich in der Walpurgisnacht (in der Nacht zum 1. Mai) etwa 20 Leute zu denen sich im Laufe des Abends auch Anhänger der Schwarzen Szene dazu gesellten, sodass schließlich etwa 150 Personen zugegen waren. Unterbunden wurde das Ganze jedoch von den Ordnungskräften der DDR, da sie die Entstehung einer solchen Subkultur nicht duldeten, sie war nicht „Regime konform“. Das änderte sich mit der Wende und schließlich feierte man 92 gemeinsam das erste offizielle WGT.
Im Jahr 2000 schockte eine Meldung alle WGT – Begeisterten, der Veranstalter war pleite. Grund dafür war eine Verkalkulation der Kosten. Zahlreiche Künstler wurden gebucht, konnten jedoch nicht bezahlt werden, der Veranstaltung drohte damit das jähe Ende. Dem großen Anklang der Allgemeinheit jedoch sei Dank übernahm die Treffen – und – Festspielgesellschaft Chemnitz ab 2001 die Leitung des WGT, und das mit großem Erfolg. Die Besucherzahlen sind seitdem noch weiter in die Höhe gestiegen, ebenso die Anzahl teilnehmender Bands und DJs und lassen die Kassen unaufhörlich weiter klingeln, was natürlich auch sowohl den stationären Handel als auch sämtliche Gothic Shops freuen dürfte, die dem Treffen sicherlich einen Großteil ihres Jahresumsatzes durch den Verkauf ihrer Gothic Kleidung zu verdanken haben.
Am Pfingstwochenende stehen alle Zeichen auf Gothic. Angeboten werden für alle Teilnehmer Workshops, Autorenlesungen, Mittelaltermärkte, Live – Rollenspiele, Konzerte und Partys, alles natürlich themenbezogen. Die Veranstaltungen erstrecken sich über die gesamte Stadt und auch ansässige Geschäfte, Buchhandlungen und Restaurantbetreiber richten ihr Angebot an den Pfingsttagen hauptsächlich an die Schwarze Szene aus.
Die Hauptveranstaltungsorte sind aber nach wie vor folgende:
Auf dem agra-Messegelände, einem alten Messepark, können während des Treffens die Besucherzelte aufgeschlagen werden. Dort befindet sich auch das Areal für die Kinderbetreuung, sie ist also quasi einer der Dreh – und Angelpunkte des WGT. In einer der angrenzenden Messehallen finden aufgrund seiner Größe solche Konzerte statt, bei denen die höchste Besucherdichte zu erwarten ist. Allein deshalb ist das agra – Gelände unter den Besuchern ein unheimlich beliebter Ort zum Campieren. Die zweite große Halle wird für die „Szenemesse“ (eine Verkaufsmesse) genutzt. In den übrigen Hallen findet jeden Abend eine Discoveranstaltung mit vielen bekannten DJs statt.
In der alten Befestigungsanlage findet während des WGT oberirdisch der Mittelaltermarkt „Wonnemond“ statt, unterirdisch in „Tonnen“ der zweite Teil des Mittelaltermarktes und weitere „Tonnen“ als Ort für kleinere Konzerte und Platz zum Tanzen.
Angrenzend an den Zeltplatz befindet sich der agra-Park, hier hat das „heidnische Dorf“ seine Zelte aufgeschlagen. Dort wird auch Nicht - Festivalbesucher gegen einen gesonderten Eintritt der Zugang zur Open – Air – Bühne gewährt.
Natürlich finden auch weitere Events in anderen Locations wie dem Schillerpark, der Peterskirche oder der Theaterfabrik in Leipzig statt. Theater, Museen und die Oper bieten während des Pfingstwochenendes vergünstigten Eintritt an und es finden zahlreiche, themenbezogene Lesungen statt. Einen genauen Plan erhält jeder Teilnehmer mit dem Erwerb seiner Eintrittskarte kurz vor Beginn des Spektakels, Käufer der Obsorgekarte bekommen das Programmheft kostenlos beigefügt, weitere Infos sowie der genaue Veranstaltungsplan sind online über die Betreiberhomepage der Veranstaltung rund um die Uhr einsehbar.
Für das WGT sind zwei Arten von Eintrittskarten online im Vorverkauf bestellbar. Die reine Eintrittskarte ermöglicht den Zutritt zu den einzelnen Veranstaltungen und ist gleichzeitig das unbegrenzt nutzbare Ticket für den Öffentlichen Nahverkehr (LVB) während der Pfingsttage. Zum anderen kann eine sogenannte Obsorgekarte erworben werden, die neben der Verwendung als Eintrittskarte und Bus – und Bahn Ticket ihre Gültigkeit für die Nutzung der Zeltplätze beinhaltet. Zusätzlich erhalten Inhaber der Obsorgekarte das Programmbuch „Pfingstbote“, der allerdings seit 2007 nicht mehr der Sampler „Silberling“ beigefügt ist, auf der sämtliche Interpreten, die auf dem Treffen spielen, mit ausgewählten Liedern auf der CD wiederzufinden waren.
Da sich das Treffen nicht wie sonst bei Festivals üblich auf einem Platz, sondern über die ganze Stadt erstreckt, erhält jeder Besucher vor Ort beim Entwerten seiner Eintrittskarte ein Armband, je nach Art der Eintrittskarte in einer anderen Farbe. Da die eine Karte zum Übernachten auf dem Zeltplatz auf dem agra – Messegelände berechtigt, ist auch nur dort die Karte gegen das entsprechende Armband einzutauschen. Die übrigen Bänder werden an mehreren Stellen in der Stadt ausgegeben.
Dominierende Farbe auf dem WGT ist und bleibt Schwarz. Männer in schmuckvollen Fracks in Kombination mit elegantem Zylinder oder Hut, Frauen in atemberaubend eleganten Kleidern mit Korsage und viel Spitze zieren hauptsächlich das Stadtbild Leipzigs während der Pfingstfeiertage. Die meist gewählte Farbe der Gothic Kleidung ist dabei typischerweise schwarz. Aber auch immer mehr Anhänger der relativ neu aufgekeimten Steampunk Szene schmücken mehr und mehr die Straßen. Ihre Kleidung ist weniger dunkel, dafür mindestens genauso elegant mit einem Hauch von technischem Futurismus im dekorativen Detail. Nicht selten lassen sich die Besucher im Vorfeld in spezialisierten Schneidereien ihre Robe kostspielig auf den Leib schneidern oder im entsprechenden Gothic Shop anfertigen. Schließlich heißt es beim Treffen auch „Sehen und gesehen werden“, um das Feeling der gotischen Zeit so gut es geht in der Moderne wieder aufkeimen zu lassen.
Wem dazu das nötige Kleingeld fehlt, wird garantiert im allgemeinen Gothic Shop fündig. Auch dort wird eine Hülle von Gothic Kleidung passend zum Treffen in sämtlichen Ausführungen, Farbkombinationen und Größen angeboten, dort vorbeizuschauen ist also sicherlich eine Alternative zur Schneiderei, wenn auch „von der Stange“, was in Anbetracht der Tatsache, dass man sich meist mehr als nur einen Tag dort aufhält, nicht die schlechteste Idee dargestellt um ein wenig Geld zu sparen.
Auch die Wahl an stilgetreuer Steampunk Kleidung und passenden Accesssoires ist neben der typischen Gothic Kleidung im Gothic Shop mittlerweile fester Bestandteil des Repertoirs.
Wer es gehobener mag, quartiert sich am Pfingstwochenende in einem der zahlreich vorhandenen Hotels, Pensionen oder Ferienwohnungen ein. Allerdings sollte man sich schon weit im Voraus ein Zimmer buchen, denn die sind während des WGT heiß begehrt und dementsprechend auch relativ schnell in diesem Zeitraum restlos ausgebucht. Näher am Geschehen selbst und auch kostengünstiger ist man natürlich auf den Zeltplätzen, die während des WGT eine begehrte Alternative zum Nächtigen bieten. Hauptzeltplatz ist an den Veranstaltungstagen wohl das agra – Messegelände, das nur mit entsprechender Eintrittskarte genutzt werden darf. Ansonsten gibt es noch auf den umliegenden Campingplätzen der näheren Umgebung die Möglichkeit der kostengünstigeren Übernachtung.
Wer keine Berührungsängste gegenüber Fremden hat, für den ist das Konzept „Couchsurfing“ sicherlich eine attraktive Alternative. Hier bieten Leipziger in ihrer Wohnung / WG / Haus gegen ein geringes Entgelt einen Schlafplatz an, Gemeinschaftsräume wie Bad und Küche können selbstverständlich mit benutzt werden.
Grundsätzlich sind Kinder bei dem großen Leipziger Spektakel gern gesehene Gäste. Natürlich gelten für sie gesonderte Regelungen bezüglich des Einlasses und der Veranstaltungen. So dürfen Minderjährige unter 16 Jahren ohne Ausnahme das Gelände nur in Begleitung eines Erziehungsberechtigten oder Aufsichtsbeauftragten betreten. Entsprechende Nachweise wie der Personalausweis oder eine Einverständniserklärung sind im Original vorzuweisen.
Kinder unter 12 Jahren erhalten in Begleitung ihrer Eltern freien Eintritt und müssen entsprechenden Gehörschutz im Gepäck haben.
Darüber hinaus sind Kinder und Jugendliche für einige Events, wie zum Beispiel Fetisch – Partys, grundsätzlich ausgeschlossen und es gelten bezüglich des Zutrittes für diverse Veranstaltungen die Uhrzeiten, die vom Jugendschutzgesetz vorgeschrieben sind. Da müssen die Veranstalter leider streng sein.
Doch damit auch die jüngsten Teilnehmer ihren Tag auf dem WGT mit Spiel und Spaß verbringen und sich ihre Eltern ein bisschen Auszeit nehmen können, bieten die Veranstalter Betreuungsmöglichkeiten durch geschultes Personal an. Dieses Angebot richtet sich an Kinder ab einem Alter von mindestens 3 Jahren und wird von Freitag bis Montag in der Zeit von 15 bis 22 Uhr für maximal drei Stunden pro Tag auf einem kindgerechten Areal der agra – Messehalle kostenlos angeboten.
Es ist selbstverständlich, dass auch Besucher mit Behinderung uneingeschränkt am großen Spektakel teilhaben können. Mit entsprechendem Ausweis kann ein Rabatt von 100 % auf die Eintrittskarte bzw. die Obsorgekarte veranschlagt werden. Somit ist der Eintritt für den Menschen mit Behinderung und die Begleitperson kostenlos.
Beim ersten Wave – Gotik – Treffen kamen ganze acht Bands auf die Bühne, darunter „Das Ich“ und „Goethes Erben“. Zum 25. WGT traten insgesamt 250 nationale und internationale Künstler auf, die das gesamte musikalische Spektrum der schwarzen Szene bedienen. Von der Klassik über Metal und Mittelalterklänge bis hin zu Dark Wave und Industrial bekommt hier jeder seinen favorisierten Musikstil live auf die Ohren. Die Bühnen sind über die ganze Stadt verteilt aufgebaut und die Konzerte finden parallel statt.
Das Publikum des Wave-Gotik-Treffens umfasst üblicherweise das komplette Spektrum der Schwarzen Szene von Goths über Elektro- und Neofolk-Anhänger bis hin zu BDSM- und Fetisch-Anhängern. Des Weiteren finden sich auch Punks, Metaller und Angehörige der Cyberkultur, der Mittelalterszene oder der Steampunk- und Visual-Kei-Szene.
Diese Vielfalt wird von manchen Besuchern kritisiert und als aufdringlich empfunden. Einige empfinden das Wave-Gotik-Treffen seit spätestens Mitte der 1990er als zu groß, unpersönlich und kommerzialisiert und wünschen sich wieder ein Festival im ursprünglichen kleinen Rahmen zurück. Andere wiederum erhoffen sich ein stetiges Wachstum, was die Besucherzahlen und die dargestellten Musikstile angeht.
Anfangs galt das WGT noch als ein Festival – Phänomen der Jugend. Und es scheint, als sei das Publikum mit dem jährlich stattfindenden Event in die Jahre gekommen. So beträgt das Durchschnittsalter der Besucher Mitte 30 und aufwärts, die oft schon ihren Nachwuchs mit an der Hand haben. Darum ist es wenig verwunderlich, dass der Veranstalter extra für die Jüngsten entsprechende Betreuungsmöglichkeiten bietet.
Mit jedem Treffen wuchs nicht nur die Anzahl der Besucher, sondern auch die Anzahl der unterschiedlichen Stilrichtungen, die sich mittlerweile auf dem Treffen wiederfinden. Mit den ersten Metalanhängern, die dort an Pfingsten ihre Zelte aufschlugen, war der erste Schritt zu neuen Richtungen getan. Mittlerweile scheint das WGT eine Veranstaltung für sämtliche Alternative Szenen zu sein, die sich von der konventionellen, gesellschaftlichen Norm unterscheiden wollen.
Wie immer, wenn viele Menschen einer bestimmten Interessengruppe sich gezielt zu einem gesetzten Termin an einem Ort treffen, gibt es nicht nur Stimmen, die sich dafür aussprechen. Beim WGT ist es vor allem die links orientierte Szene, die sich immer wieder lautstark gegen das Festival ausspricht. Ihre Kritikpunkte sind dabei gegen die Rechten gerichtet, die dort während des Pfingstwochenendes in Leipzig ihrer Meinung nach toleriert werden. So stehen Besucher im Visier, deren Kostüme zu sehr den damaligen Uniformen der Schutzstaffel oder der Wehrmacht ähneln, ebenso wie der Verlag VAWS, der dort jährlich einen Marktstand betreibt. Die Veranstalter betonen das Festival ist unpolitisch!
Natürlich gibt es auch Anwohner, denen das ganze Treffen suspekt und zu laut ist, doch auch aus den eigenen Reihen der Besucher selbst hagelt es stets Kritik. Die einen wünschen sich wieder denk kleineren Rahmen zurück, ihnen ist das Treffen mit den Jahren zu groß, zu unüberschaubar, zu kommerzialisiert, zu teuer und auch zu facettenreich geworden, sodass sie die Ursprünge des Events kaum noch vertreten sehen. Wurden im Laufe der Veranstaltungsjahre Gruppierungen wie Metal oder Steampunk noch geduldet, stoßen mehr und vor allen Dingen neuere Gruppen auf großen Unmut der Akzeptanz durch die „Urgesteine“, die Anhänger der Wave und Gothic Szene. Nicht zuletzt wird dieser Kritikpunkt dadurch untermauert, dass auch eine völlig neue Szene, die Visual Kei, sich auf dem WGT zusehends heimischer fühlt und die „Urgesteine“ keinen Zusammenhang sehen zwischen ihrer Gotikphilie und den Manga ähnlichen Verkleidungen der Visual Kei Anhänger.
Nicht zuletzt muss sich auch ein Treffen in einer derartigen Größenordnung wie der des WGT den Richtlinien der deutschen Umweltgesetze beugen. Das mag im ersten Moment wenig mit dem Treffen an sich zu tun haben, wenn man allerdings beachtet, dass sich die Veranstaltungsorte in der ganzen Stadt verteilen und mitten im Messeaußengelände geparkt und gezeltet werden darf, ist das ganze plötzlich wieder gar nicht so weit her geholt, Erwähnung zu finden. So sollte sich jeder Besucher darüber im Klaren sein, dass seit 2011 über die Hälfte des Stadtgebietes zur Umweltzone erklärt wurde und diese nicht ohne grüne Plakette befahren werden darf.
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19.11.2024